Hallo Stefan,
im Hebräischen gibt es zwei Arten von Zahlen:
1) Die Zahlen, mit denen man einfach nur zählt und rechnet.
In dieser ganz normalen Zahlenwelt des Alltags gibt es selbstverständlich auch eine „Null“.
2) Das Hebräische Alphabet.
Es beginnt mit Alef = 1, und es endet mit Tav = 400.
In dieser Welt gibt es „offiziell“ keine „Null“.
Buchstaben und Zahlen werden nicht einfach bloß synonym gebraucht, sondern sie sind tatsächlich dasselbe! Wenn wir also sagen, HaShem (= „Der Name“ – unter religiösen Juden ist „HaShem“ die gängigste Bezeichnung für Gott) hat die Welt aus den Buchstaben des Hebräischen Alphabets gebaut, dann ist diese Aussage „buchstäblich“ identisch mit der Aussage: HaShem hat die Welt aus Zahlen erbaut.
(Vielleicht hast du die Matrix-Trilogie im Kino oder auf DVD gesehen. Die Zahlenkolonnen, die im Vorspann des Films fließen, stellen solche kabbalistischen Anspielungen dar.)
Ad 1)
Im Hebräischen gibt es für beide Geschlechter (m./f.) eigene Zahlen. Sie richten sich nach den Substantiven, auf die sie sich beziehen. Zum Rechnen und Zählen werden die weiblichen Formen der Zahlen benutzt. Die Zahl 0 ist männlich.
Zählen tut man in Israel also einfach wie folgt (Die Akzente hab ich nur gesetzt, damit du weißt, auf welcher Silbe das Wort betont wird):
0 = éfess
1 = achát
2 = shtájim
3 = shalósh
4 = árba
5 = chamésh
6 = shesh
7 = shéva
8 = shmónä
9 = tésha
10 = éssär
usw.
Ad 2)
Nicht nur in der Welt der Kabbalisten, sondern im Judentum ganz allgemein, besitzt jeder der 22 hebräischen Buchstaben sowohl einen ganz konkreten Zahlenwert als auch eine ganz konkrete symbolische Bedeutung. Eine „Null“ gibt es nicht – zumindest nicht offiziell.
1 = Alef = Haupt des Stiers
2 = Bet = Haus
3 = Gimel = Kamel
4 = Dalet = Tür
5 = He = Fenster
6 = Vav = Haken/Spange/Nagel
7 = Zayin = Waffe
8 = Chet = Zaun
9 = Tet = Gebärmutter/Schlange
10 = Yod = Hand
20 = Kaf = hohle Hand
30 = Lamed = Ochsenstachel
40 = Mem = Wasserloch
50 = Nun = (schlangenartiger) Fisch
60 = Samech = Stütze/Schlange
70 = Ayin = Auge
80 = Peh = geöffneter Mund
90 = Tsadeh = Blüte/Angelhaken
100 = Qof = Nadelöhr
200 = Resh = Kopf
300 = Shin = Gebiss/Zahn
400 = Tav = Zeichen/Kreuz
Um jetzt mal auf deine „Gott-Frage“ zu kommen:
Wenn wir Abendländer Christus beispielsweise mit der Formel umschreiben: „Ich bin das Alpha und das Omega“, also das Erste und das Letzte, dann können wir diese Formel unmöglich ins Hebräische übertragen. Wir können also nicht sagen: „Ich bin die Alef und die Tav“, bloß weil Alef der erste und Tav der letzte Buchstabe des Hebräischen Alphabets ist. Denn die Bedeutung ist im Hebräischen vollkommen anders. Im Hebräischen ist Alef (1) nicht einfach bloß die Hälfte von Bet (2). Nein, Alef ist „das Ganze“, das heißt: Alef ist sowohl der unbegreifliche Schöpfergott als auch Seine Schöpfung. Man kann dieses „Ganze“ natürlich weder quantifizieren, noch umgangssprachlich auch nur annähernd ausdrücken, weil an der Schwelle zum Numinosen alles menschliches Ausdrucksvermögen versagt.
Da ich nicht weiß, lieber Stefan, inwieweit du überhaupt mit der Thematik, die wir hier angeschnitten haben vertraut bist, was dir beispielsweise ein Begriff wie „Kether“ sagt, weiß ich auch nicht, wie tief ich in das Thema einsteigen soll oder kann. Jedenfalls setzen die Kabbalisten „Kether“ noch vor die Alef, ohne einen konkreten Zahlenwert zu vergeben. Große Kabbalisten (wie z. B. Friedrich Weinreb) sagen über „Kether“:
„Mit dem Lamm also entsteht die Welt. Daher heißt es: Das Lamm steht vor allen Zeichen. Das erste Zeichen, das erscheinen kann, Alef, ‚Haupt eines Stiers’, ist schon – könnte man sagen – eine Frucht…“
(Zitiert nach: Friedrich Weinreb, Kabbala im Traumleben im Menschen; ISBN 3-89631448-3)
Compris?
Herzlichen Gruß
R. |